Besonderheiten beim Umgang mit Stromwandlern

6. BESONDERHEITEN BEIM UMGANG MIT STROMWANDLERN


6.1 OFFENBETRIEB

Wie schon im Abschnitt 1.2/S. 8 erwähnt, ist der Stromwandler eine Konstantstromquelle, dessen sekundäre Stromstärke idealerweise entsprechend der Übersetzung nur vom Primärstrom abhängt. Aufgrund seiner Physik vermag es der Stromwandler, gemäß dem ohmschen Gesetz (1)/S. 12, die Quellenspannung E0jeweils der Belastung anzupassen, sodass der geforderte, konstante Strom fließt. Nimmt die Bürde zu hohe Werte an, erreicht der Stromwandler die Sättigung und der Betrag des Fehlers wird deutlich größer. Ist das Kernmaterial vollkommen gesättigt, so ist es wirkungslos, aber der Stromwandler arbeitet dann immer noch wie ein Lufttransformator. Auch hier steigt der Strom, wenn auch deutlich geringer, weiter an. Es ist also leicht verständlich, dass die Quellenspannung und damit ebenfalls die Spannung an den Sekundärklemmen mit zunehmender Bürde auch steigen. Der Extremfall ist ein unendlich hoher Widerstand, der bei offenen Sekundärklemmen erreicht wird, wobei die Sekundärspannung sehr hohe Werte annehmen kann, die für den Menschen lebens- gefährlich sind und den Wandler durch Spannungsüberschläge innerhalb der Sekundärwicklung zerstören können. Darüber hinaus erhöhen sich bei Sättigung die Kernverluste, sodass auch eine Überhitzung des Kerns droht. Offenbetrieb (engl. open-circuit operation) ist also unbedingt zu vermeiden. Dazu zählt auch, dass im Sekundärkreis keine Absicherung erfolgen darf, die diesen unterbrechen könnte. Bei Stromwandlern mit großer Streuung oder mit Eisenkernen aus magnetisch leicht sättigbaren Werkstoffen kann der Leerlauf zulässig sein, z. B. bei sehr leistungsschwachen Stromwandlern und kleinen Übersetzungen. Hier tritt die Sättigung schnell ein und die Spannung erreicht nicht so hohe Werte. Da der Anwender aber oft nicht über diese Information verfügt, die mögliche Offenspannung (engl. open-circuit voltage) abzuschätzen, sollte kein Offenbetrieb riskiert werden. Gelegentlich taucht der Begriff offensichere Wandler auf, obwohl dieser in keiner Norm definiert ist. Man kann die Windungsisolation oder den Sättigungseinsatz so bemessen, dass der Wandler die hohe Spannung beim Offenbetrieb mit dem Bemessungs-Dauergrenzstrom Icth(Kapitel 3.4/S.37) schadlos übersteht. Das bedeutet aber nicht, dass die Offenspannung für den Menschen unschädliche Werte annimmt. Ein Wandler muss aber ohnehin die Windungsprüfung mit 4,5 kV bestehen (Kapitel 5.2/S. 71). Aber selbst bei ausreichender Isolation ist zu beachten, dass bei Einschaltvorgängen wie z. B. Motoranlauf der Primärstrom kurzzeitig ein Vielfaches des Nennstroms erreicht, weshalb auch die Offenspannung über 4,5 kV anwachsen kann. Die Zerstörung des Wandlers durch innere Spannungsüberschläge kann durch Isolationsmaßnahmen teilweise verhindert werden, nicht jedoch die Zerstörung durch die drohende Überhitzung des Kerns. Beim Offenbetrieb nehmen die Kernverluste und damit die Kernerwärmung zu. Letztlich kann der Offenbetrieb auch durch Schaltungsmaßnahmen wie z. B. antiparallel geschaltet Z-Dioden am Wandlerausgang, Thyristoren oder der Einsatz von Kurzschlussklemmen verhindert werden. Diese Maßnahmen sind aber – bis auf die Kurzschlussklemmen – kaum anzutreffen. Im bestimmungsgemäßen Betrieb erfolgt der für den Stromwandler geforderte Kurzschluss durch den niederohmigen Strompfad des angeschlossenen Messgerätes.


6.2 ERDUNG VON STROMWANDLERN

Vorschriften zur Erdung (engl. earthing, grounding) von Stromwandlern haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Stromwandler, die ab einer höchsten Spannung für Betriebsmittel von Um>1,2 kV eingesetzt werden, müssen nach wie vor grundsätzlich sekundärseitig geerdet werden. In früheren Jahren mussten alle Stromwandler sekundär auf der k-Seite (jetzt als s1 bezeichnet) geerdet werden. Das rührt noch aus Zeiten, als das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der Isolation – manchmal berechtigt – noch nicht so groß war. In späteren Normen wurde diese Forderung ersatzlos und ohne zusätzlichen Hinweis gestrichen. Erst die derzeit aktuelle Norm DIN EN 61869-1 hat unter Abschnitt 6.5 wieder eine Aussage über die Erdung aufgenommen, leider aber unvollständig. So ist hier nur zu lesen, dass Montagerahmen und Messwandler für gasisolierte Schaltanlagen geerdet werden müssen. Die DIN VDE 0100-557 zur Errichtung von Niederspannungsanlagen bis 1 kV ist bezüglich der Erdung deutlicher. So ist unter Abschnitt 557.5.3.1 zu lesen, dass Stromwandler sekundär nicht geerdet werden dürfen, es sei denn, die Messaufgabe kann nur durch Erdung erfüllt werden. Das wird zum einen damit gerechtfertigt, dass die Isolationsmaterialien deutlich besser und zuverlässiger geworden sind, und zum anderen wird damit auch berücksichtigt, dass immer mehr elektronische Messgeräte auf den Markt kommen, bei denen eine Eingangsklemme bereits intern geerdet ist. Durch Mehrfacherdungen würden hier Messgeräte kurzgeschlossen, was aber u. U. nicht leicht zu erkennen ist, da die Strompfade der Messgeräte niederohmig sind und damit widerstandsmäßig in der Größenordnung des kurzschließenden Anlagenteils oder Drahtes liegen. Da sich der Strom dabei im umgekehrten Verhältnis der Widerstände aufteilt, kann trotzdem ein Strom angezeigt werden. Auch sind seit einigen Jahren Stromzähler auf dem Markt, bei denen die Spannungspfade in die Sekundärkreise der Stromwandler gelegt werden. Bei dreiphasigem Wechselstrom werden so drei Anschlussklemmen eingespart und das Gehäuse kann schmäler werden. Hier würde die sekundärseitige Erdung der Stromwandler zu einem Kurzschluss im Spannungspfad führen, wie Abb.22/S.77 beispielhaft an einem Einphasen-Stromzähler zeigt.


6.2.1 ENTKOPPELN DER ERDUNG

Wie bereits erwähnt, müssen Stromwandler ab Um>1,2 kV sekundär geerdet werden. Was aber, wenn Erdfreiheit erforderlich ist, da sich z.B. im Messkreis bereits Messgeräte befinden, die schon intern geerdet sind und damit die beschriebenen Probleme verursachen?
Hier kann man eine Lösung herbeiführen mit den in Kapitel 2.4/S. 24 erwähnten Zwischenwandlern. Muss keine Anpassung des Stroms erfolgen, so haben diese die Bemessungs-Übersetzung 1/1 A oder 5/5 A . Dadurch ist die Forderung erfüllt, den Mittel- oder Hochspannungs-Stromwandler erden zu können. Gleichzeitig wird aber dem Messkreis eine erdfreie Messgröße zur Verfügung gestellt (Abb. 23/S.78). Bedingt durch die Eigenverluste des Zwischenwandlers, ist die erforderliche Bemessungsleistung des Hauptwandlers entsprechend zu erhöhen.


6.3 AUSWIRKUNGEN VON FREMDFELDERN

Auch Magnetfelder (Fremdfeld, engl. external magnetic field) benachbarter Stromleiter können auf Genauigkeit und Funktion von Stromwandlern Einfluss haben. Abb. 24/S. 79 zeigt dazu einen benachbarten Rückleiter mit ursprünglich konzentrischen Feldlinien, und wie diese in den Kern eines Stromwandlers eindringen. Nach dem Eintritt teilt sich der magnetische Fluss Φa des Störfeldes im umgekehrten Verhältnis der magnetischen Widerstände auf. Der größere Teil des Flusses Φa1 nimmt daher den kürzeren Weg (rot). Ein kleinerer Teil des Flusses Φa2 legt die größere Wegstrecke zurück (grün). In Abb. 24/S. 79 ist der besseren Übersicht wegen nur das durch den Rückleiter gebildete Störfeld gezeichnet und nicht das Feld des durch den Stromwandler geführten Leiters, da die Überlagerung beider Felder die Zeichnung unübersichtlich werden ließe. Der zu messende Primärstrom Ip verursacht also ein magnetisches Feld. Dem eigentlichen Feld des Primärstroms wirkt das durch den Sekundärstrom erzeugte Feld entgegen (lenzsche Regel, Kapitel 1.2/S.8), sodass als feldverursachende Durchflutung nur die Differenz Ip - NsIs wirksam ist, die beim idealen Stromwandler Null wäre. Diese Differenz bewirkt ein Magnetfeld Φε , welches die Quellenspannung E0 erzeugt, die erforderlich ist zur Überwindung der sekundärseitigen Widerstände. Dem Magnetfeld des Primärstroms wirkt also ein von der Sekundärseite erzeugtes Magnetfeld entgegen. Das so entstehende Hauptfeld Φε addiert sich unter Beachtung der Richtung zu den Magnetfeldern Φa1 und Φa2. Das soeben besprochene Gegenfeld fehlt allerdings bei grober Betrachtung nahezu beim Störfeld, sodass dessen Komponenten u. U. in der gleichen Größenordnung liegen wie das Hauptfeld und sogar größer sein können. Gemäß der in Abb. 24/S. 79 gezeigten Stromrichtung addieren sich das Feld Φp des Primärstroms und das Störfeld Φa1 auf der rechten Kernseite (rot), während auf der linken Seite (grün) eine Subtraktion stattfindet. Im ungünstigsten Fall kann dabei das rechte Kernstück in die Sättigung getrieben werden, verbunden mit großen Messfehlern. Da hierbei nur ein Teil des Kerns in Sättigung gerät, spricht man auch von partieller Sättigung (engl. partial saturation). Zusätzlich kann sich durch das fehlende Gegenfeld des Störstroms in den beiden Kernhälften eine hohe Induktion aufbauen, sodass die Quellenspannung sehr hohe Werte annehmen kann. Zwar kann der Einfluss von Störfeldern durch konstruktive Maßnahmen im Stromwandler verringert, nicht jedoch gänzlich vermieden werden. So ist bei der Montage von Stromwandlern auch immer darauf zu achten, ob und wo sich Störfelder ausbreiten können. Konstruktive Maßnahmen stoßen bei Niederspannungs-Stromwandlern wegen der hier oft geforderten geringen Abmessungen schnell an ihre Grenzen. Sofern es die Platzverhältnisse in einer Schalt- oder Energieverteilungsanlage zulassen, sollten Rück- oder Fremdleiter also nie zu nahe am Stromwandler vorbeigeführt werden. Hiermit sind die Möglichkeiten des Anwenders aber bereits erschöpft. Wie groß ein angemessener Abstand sein sollte, kann nicht pauschal beantwortet werden, da verschiedene konstruktive Maßnahmen Einfluss haben. Im Zweifelsfall sollte der Anwender den Hersteller fragen.


6.4 DER WANDLERFAKTOR

Stromzähler (engl. electricity meter, energy counter) sind bis zu Bemessungsströmen von 100 A als direktmessende Geräte erhältlich. Für höhere Ströme gibt es sogenannte Wandlerzähler (engl. CT connected electricity meter) mit 1 A- oder 5 A-Eingängen, denen entsprechende Stromwandler vorgeschaltet werden müssen. Bei den meisten elektronischen Zählern kann man einen Korrekturfaktor in Form der Wandlerübersetzung oder des Wandlerfaktors (engl. meter factor) einprogrammieren, sodass der Verbrauch ohne Umrechnung direkt abgelesen werden kann. Bei älteren mechanischen oder einigen elektronischen Zählern muss der angezeigte Wert jedoch mit der Wandlerübersetzung multiplizieren werden, um so den tatsächlichen Energieverbrauch zu erhalten. Dieser Wandlerfaktor (manchmal auch Zählerfaktor genannt) muss auf den Zählern angegeben werden und ist nichts anderes als die Wandlerübersetzung kr. Bei Stromwandlern steht die Übersetzung als ungekürzter Bruch auf dem Typenschild. Der Wandlerfaktor ist die ausgerechnete Übersetzung. Diese wird auf den Energiezählern gelegentlich mit dem Formelzeichen c benannt oder im Klartext angegeben. Folglich gilt

Gleichung 19


Gelegentlich stößt man auf die Frage des Anwenders, ob bei Dreh-stromzählern der Faktor mit 3 zu multiplizieren ist, da ja auch 3 Wandler vorhanden sind. Folgende Betrachtung soll weiterhelfen, bei der angenommen wird, dass die Strompfade eines Wandlerzählers von 3 Stromwandlern mit der Übersetzung kr= 200/5 A gespeist werden. Hierbei „sieht“ der Zähler insgesamt 15 A , die aber tatsächlich 600 A repräsentieren. Die Anzeige muss also mit dem Faktor 600/15 korrigiert werden, was aber nach Kürzen nichts anderes ist als die Übersetzung kr = 200/5 eines einzelnen Wandlers. Also erfolgt auch bei Drehstromzählern die Multiplikation des angezeigten Energieverbrauchs mit der Übersetzung nur eines Wandlers, hier im Beispiel mit c = 40.